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AGE-Zentralveranstaltung: Wege zur Entspannung im Chaos

Fachwissen in CCI.Net Kiosk

Von Bernd Genath
 
"Ganzheitliche Entrauchungssysteme - Wunsch oder Realität" lautete das Thema der diesjährigen Zentralveranstaltung der Aktionsgemeinschaft Entrauchung (AGE /1/) in Essen, zu der sich rund 140 Teilnehmer am 19. November 2002 in Essen einfanden. Die acht Referenten waren Udo Jung (Veranstaltungsleiter), Bernd Rahn, Adam Krüppel, Michael Buschmann, Jürgen Eidmann, Heinrich Stadlbauer, Prof. Dr. Dirk Helbing, Uni Dresden, und Prof. Dr. Gerd Motzke vom Oberlandesgericht München. Die Mitglieder der AGE sind die Unternehmen Alfred Eichelberger GmbH & Co. KG, Berlin; esser-effeff alarm GmbH, Neuss; Johnson Controls JCI Regelungstechnik GmbH, Essen; Joventa Stellantriebe Vertriebs-GmbH, Leinfelden Echterdingen; Strulik GmbH, Hünfelden; Turbo Lufttechnik GmbH, Bad Hersfeld; TÜV Süddeutschland Bau und Betrieb GmbH, München.
Das Themenspektrum reichte von neuen Wegen des Personenschutzes, meteorologische Einflüsse auf Rauchdruckanlagen in Treppenräumen von Hochhäusern, Fehlalarm bei automatischen Entrauchungssystemen, sichere Gebäudeautomation, Planungs- und Abnahmeproblematik von MRA bis zu der Frage, ob Lüftung und Entrauchung kombinierbar sind.
 
Essen. Einige Literaturstellen sprechen von 95 Prozent Fehlalarm bei automatischen Entrauchungssystemen, die AGE hält 25 bis 30 Prozent für realistisch. Daher tun sich die Mitglieder der AGE schwer, Deutschlands Feuerwehren von diesen Systemen zu überzeugen. Denen sitzt auch der Kostendruck im Nacken. Jede Aktion verschlingt Geld. Zudem: Rücken sie grundlos aus, können sie zum gleichen Zeitpunkt an anderer Stelle einen tatsächlichen Brand nicht löschen. Mit diesen Begründungen sperren sich einige Kommunen gegen die Installation automatischer Entrauchungssysteme.
 
Der höchste Personenschutz
Auf der anderen Seite hat die AGE gute Argumente für den Einbau derartiger Anlagen. An erster Stelle steht die sehr hohe Prozentzahl der Todesfälle und der Sachschäden, die bei Brandereignissen auf Rauch zurückzuführen sind. Hält man sich vor Augen, dass zum Beispiel ein einziges Kilogramm Papier 1.000 m3 Rauchgas erzeugt und die Feuerwehr 8 bis 15 Minuten bis zum Eintreffen am Brandherd benötigt, wird klar, dass die Verhinderung der Rauchausbreitung und die Entrauchung schlechthin die wesentliche Rolle im Brandschutz spielen. Ein manuelles Einschalten der Entrauchungsanlage vor Ort durch die Feuerwehr kann nicht die Lösung sein. Deshalb macht sich die AGE dafür stark, den moderneren Stand der Technik in den Bauordnungen zu verankern, vielleicht auch eine gewisse Fehlalarm-Quote zuzulassen.
 
Von Johnson Controls hörten die Teilnehmer, wie man mit Bussystemen und Plausibilitätskontrollen im Meldesystem die Störgrößen für einen Fehlalarm minimieren kann. Sie diskutierten mit Turbo Lufttechnik (TLT) den Begriff "automatisch". Was verbirgt sich dahinter: Eine sichere Technik? Eine sichere Entrauchung? Eine sichere Evakuierung? Die Normung auf dem Gebiet der Entrauchung lässt viel Luft, die allen Beteiligten, vom Bauherrn über Architekt, Planer, Bauleiter usw., ein hohes Maß an Eigenverantwortung auflädt. In diesem Punkt war man sich einig: Die immer größer werdende Verantwortung der am Bau Beteiligten sollte dazu führen, die Entrauchung nicht auf einzelne Gewerke zu beschränken, sondern als ganzheitliches System zu verstehen.
 
Die Verantwortung bleibt
In diese Kerbe schlug auch Prof. Dr. Gerd Motzke, als er die Haftungsstrukturen darlegte. Einen ausführlichen Beitrag zu diesem Thema finden Sie im CCI.Fachwissen (wissen.cci-promotor.de - Rubrik "Brandschutz", Suchwort "Motzke")
 
Deshalb verwundert es ein wenig, dass zum Beispiel Gutachter und Sachverständige zum Sicherheits-Treppenhaus des 160 m hohen Post-Towers in Bonn zu belegen versuchten, dass bei diesen oder jenen Konvektionsströmungen und angenommenen Drücken sich die Türen aus den Büros zum Treppenhaus nicht öffnen lassen und deshalb einige 50 Pa runter zu realisieren seien, während an den Brandschutz in diesem "Kamin" überhaupt keine Anforderungen gestellt werden. Die Deutsche Bauordnung geht schlicht davon aus, dass per Definition in einem Sicherheits-Treppenhaus kein Brand stattfindet. Also bleiben Entrauchungskonzepte außen vor. "In Amerika hat man zwar in Hochhäusern ganz andere Erfahrungen gemacht, doch die ignorieren wir hier in Deutschland", so Eichelbergers Vertreter Bernd Rahn. Er wies aber darauf hin, dass zu diesen Drücken nun endlich ein Berechnungsverfahren zur Dimensionierung der Zu- und Abluftgitter für die Spülluft vorliege, das er demnächst veröffentlichen werde und das in die Norm DIN 18232, Teil 7 "Rauchschutz-Druckanlagen" eingehen werde.
 
Wer darf Brandmelder installieren?
Die Brandmeldetechnik war ebenfalls Thema der Veranstaltung. Wann muss die DIN 14675 angewendet werden? Wer darf überhaupt künftig Brandmeldesysteme planen, montieren und instandhalten? Michael Buschmann von esser effeff beantwortete diese Fragen. Die neue DIN wird voraussichtlich als Weißdruck zum Jahreswechsel 2002/2003 erscheinen und gilt dann "für den Aufbau und Betrieb von Anlagen, die für den Schutz von Personen und Sachwerten vorgesehen sind" und damit für den Aufbau und Betrieb von einfachen Handmeldern bis hin zu komplexen elektronischen Systemen. Planen, montieren und instandhalten dürfen alle Betriebe, die nach DIN 14675 zertifiziert sind.
 
In Deutschland ist seit Dezember 2001 der Verband der Sachversicherer (VdS), Köln, als einziges akkreditiertes Institut mit der Zertifizierung betraut und er beziehungsweise die Behörden haben bestimmte Voraussetzungen für die Zertifizierung nach DIN 14675 formuliert. Zum Beispiel Mindestqualifikation beziehungsweise Prüfungsinhalte der Zertifizierung wie auch den Nachweis eines QM-Systems, zum Beispiel ISO 9001.
 
Auf die Frage, ob Lüftung und Entrauchung kombiniert werden dürfen und wenn ja, unter welchen Bedingungen, gab es auf der Veranstaltung ein klares Jein! Soll sagen: Reine Lüftungsabluftanlagen dürfen nach wie vor nicht noch die Entrauchung übernehmen, weil sie zahlreiche Brandschutzauflagen nicht einhalten. Doch lassen sich umgekehrt herkömmliche Entrauchungsanlagen mit einer Kombi-Entrauchungsklappe bestücken, die für Lüftungszwecke geöffnet werden darf. Jürgen Eidmann, Strulik GmbH, skizzierte die verschiedenen Varianten, die es mittlerweile für beinahe sämtliche Wände, Decken, Durchführungs- und Einbausituationen gibt, und selbstverständlich für den automatischen Betrieb, also beispielsweise angekoppelt an die Brandmeldezentrale oder an andere Sicherheitseinrichtungen.
 
Wie etwa an Sicherheits-Bussysteme. Die Verdrahtung sämtlicher Entrauchungsmodule mit Hilfe der Bustechnik an die Gebäudeautomation minimiert das Schadensrisiko, weil prozessorgesteuerte Installationen es zulassen, verschiedene Entrauchungsszenarien zu programmieren und auszulösen. Das ist ganz besonders für komplexe Gebäudestrukturen wie Krankenhäuser, Einkaufszentren und Flughäfen von Bedeutung. Für Dr. Karsten Klöcker, JCI, der verschiedene Lösungen vorstellte und Planungshinweise gab, sprechen für die Automation freilich nicht nur Sicherheitsaspekte: "Die komplexen Vorgänge im Brandfall werden durch die moderne Gebäudeautomation lückenlos dokumentiert - was für eine rechtliche Beweisführung von grundlegender Bedeutung sein kann."
 
Panikforschung in Dresden
Für das Evakuieren wird leider erst nach den jüngsten Brandunfällen und Terroranschlägen zögerlich Geld ausgegeben. Völlig neu waren die physikalischen Ansätze von Prof. Dr. Dirk Helbing vom Institut für Wirtschaft und Verkehr der Technischen Universität Dresden zur Simulation des Verhaltens von Menschenströmen und -ansammlungen im Normalverhalten und bei Panik. Es besteht berechtigte Hoffnung, dass damit künftig die Bemessung von Rauchabzugsanlagen einen weiteren Ansatz erhält. "Panikforscher" Helbing stellte in Essen verblüffend einfache Maßnahmen zur Aufrechterhaltung einer gewissen Ordnung im Chaos der Panik vor. Ein Fluchtkorridor beispielsweise verliert an Wert, wenn er durch eine Raumerweiterung führt, ein quadratisches Zimmer zum Beispiel, um sich durch eine Öffnung auf der gegenüberliegenden Wand fortzusetzen. Denn in diesem Raum löst sich die eingestellte Ordnung des Fluchtstroms auf. An der Engstelle kommt es zur Pfropfenbildung: Stau, Drängeleien, Panikreaktionen. Dass Verengungen zu ähnlichen Erscheinungen führen, war bekannt. Dass Erweiterungen genauso tödlich wirken können, ist neu.
 
Der lebensrettende Pfeiler
Die Dresdener analysierten die verschiedensten kollektiven Phänomene in Paniksituationen, bemühten sich, Mechanismen für ihre Entstehung zu formulieren, um auf dieser Grundlage Vorschläge zur Entspannung des Chaos zu erarbeiten. Der ungestörte Verlauf von Fluchtkorridoren ist ein Beispiel dafür, oder aber die trichterförmige Gestaltung des Wegs auf einen Engpass zu, damit sich vor dem heute üblichen Notausgang inmitten einer Stirnwand keine gefährliche Turbulenzen bilden können, die den "laminaren" Abstrom aus dem Engpass behindern.
 
Noch eine Dresdner Erkenntnis: Eine breitere Tür führt nicht zwangsläufig zu einem proportionalen Anstieg des Fußgängerstroms durch sie hindurch. Sie animiert eher zu häufigerem Wechseln der Gehrichtung, was wieder mit zeitweiligen Stockungen verbunden ist. Deshalb sind zwei Türen in der Nähe der Wände effizienter als eine einzige Tür doppelter Breite.
 
Höchst erstaunlich war auch, was eine einzelne Säule mitten in einem Kreuzungspunkt oder aber vor einem Notausgang bewirkt: Sie baut den lebensbedrohenden Druck drängelnder Menschen ab, der bis zu einer Tonne reichen kann, und kanalisiert die Strömungen. Eine oder besser noch mehrere asymmetrisch verteilte Säulen, 1,50 oder 2 m vor einer Notausgangstür platziert, lösen den Halbbogen der Fluchtgruppe vor dieser Tür auf und zerteilen die panische Vorwärtsbewegung. Es werden in diesem Falle kaum noch - wie nur allzu oft geschehen - Menschen rechts und links an der Stirnwand neben dem Ausgang zu Tode gequetscht.

 

Bernd Genath, Fachjournalist und freier Mitarbeiter bei CCI.Print.